Emotionalizing Brands #05 – Können wir Marken lieben?

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Emotionalizing Brands #05 – Können wir Marken lieben?

Unter den Marken-Emotionen nimmt ausgerechnet die Liebe eine zentrale Stellung ein. Herzklopfen, Bauchkribbeln, Kniezittern: Stehen Marken wirklich so hoch oben auf der Gefühlsskala, wie oft behauptet wird?

Unter den Marken-Emotionen nimmt ausgerechnet die Liebe eine zentrale Stellung ein. Herzklopfen, Bauchkribbeln, Kniezittern: Stehen Marken wirklich so hoch oben auf der Gefühlsskala, wie oft behauptet wird?

Nimmt man populäre Begriffe wie Lovemark oder Love Brand ernst, so beschränken sich Liebesgefühle nicht allein auf zwischenmenschliche Beziehungen. Auch Marken wollen geliebt werden!

Worte voller Liebe

Dafür spricht schon die Konjunktur von Claims und Slogans mit dem Begriff „Liebe“. In den 2000er-Jahren gibt es ein erstes emotionales Hoch im Marketing: von „Ich liebe es“ (McDonald’s) über „Aus Liebe zum Automobil“ (Volkswagen) bis zu „We love to entertain you“ (ProSieben). Heute sind es „Wir lieben Fliegen“ (Condor), „Weil wir dich lieben“ (Berliner Verkehrsbetriebe) oder „Weil wir Schuhe lieben“ (Deichmann). Dutzende Regionalradios lieben Niedersachsen, Bayern und natürlich Musik. Am einprägsamsten ist wohl Edekas „Wir lieben Lebensmittel“.

Die Strategie ist meist dieselbe: Durch eine Liebeserklärung an das eigene Tun oder durch Hinweis auf das liebevoll hergestellte Produkt soll bei der Zielgruppe Gegenliebe ausgelöst werden. Erkläre dich für liebend und du wirst zurückgeliebt!

Was sind Lovemarks?

So viel Liebe kommt nicht von ungefähr. Werbung und Marketing haben diese Emotion zum Mittelpunkt ihres Strebens erklärt. In seinem von der Branche bis heute gefeierten Werk Lovemarks – the future beyond brands (2004) behauptet der ehemalige Saatchi&Saatchi CEO Kevin Roberts, dass eine Lovemark durch die Verbindung der drei Dimensionen Geheimnis, Sinnlichkeit und Intimität zum begehrten Liebesobjekt wird.

Markenliebe ist Roberts zufolge die Antwort auf einen Wandel der Märkte: von der sogenannten Attention-Ökonomie („Was Sie brauchen“) zur Attraction-Ökonomie („Was ich will“). In dieser neuen Welt sind Konsumierende mächtiger und treten fordernder auf als zuvor. Sie wollen, dass Marken ihnen beeindruckende emotionale Erlebnisse verschaffen: „Wertschätzung und Bewunderung genügen nicht – es muss echte Leidenschaft sein.“

Eine Sieben-Schritte-Methode soll den Weg zur Lovemark ebnen, darunter „Mit dem Verbraucher auf Tuchfühlung gehen“ und „Mit Intimität verändern“.

Allerdings versäumt Roberts, der emotionalen Anziehungskraft der Lovemarks auf den Grund zu gehen: Warum sind gerade die oben genannten Faktoren geeignet, eine starke Markenloyalität auszulösen? Wie genau wird das Gefühl der Markenliebe in der Psyche der Konsument:innen angeregt? Und warum ist Liebe das einzige relevante Gefühl, das Marken auslösen? Da sich der Lovemarks-Erfinder überwiegend an Beispielen orientiert und seine Behauptungen meist allgemeiner Natur sind, kann er sich dem Phänomen der Liebe nicht weiter annähern.

Ähnliche Fragen wirft übrigens auch Silvia Dannes My Love Brand (2018) auf: Wenn zu den Erfolgsfaktoren einer Love Brand „Leidenschaft, die motiviert“ und „Emotionen, die bewegen“ gehören, und wenn die Autorin „Markenliebe als Grundlage für Love Brands“ ausmacht, dann werden Begriffe und Botschaften damit letztlich durch sich selbst erklärt.

Nur ein flüchtiges Gefühl

Auch grundsätzlich stellt sich die Frage nach der Sinnhaftigkeit des Begriffs Lovemark. Denn die meisten Marken verdienen sich Zuneigung vor allem durch Leistung, durch ein gutes Produkt und echtes Bemühen um die Zielgruppen. Emotionen wie Freude und Vertrauen scheinen auf Marken besser zu passen als Liebe.

Das bestätigt auch ein an der Universität Wien durchgeführtes Forschungsprojekt. Dieses gewichtet unter anderem die Emotionen, denen in Marketing und im Zusammenhang mit Marken eine Bedeutung zukommt. Das Ergebnis: Bei 3.720 Nennungen entfallen auf Liebe gerade einmal 67. Damit rangiert Liebe sogar hinter den negativen Marken-Gefühlen Sorge, Langeweile, Enttäuschung, Verachtung und Furcht. Zudem stellt sich heraus, dass Liebe im Kontext der Markenwahrnehmung eher als Derivat aus anderen Emotionen und nicht als eigenständiges Gefühl einzustufen ist. Als Sekundäremotion erscheint sie als stärkere Ausprägung von Akzeptanz/Vertrauen einerseits und als Dyade aus Freude und Akzeptanz/Vertrauen andererseits.

Digitale Nähe als Emotionsbeschleuniger

Unabhängig von diesen Einwänden verdient es Beachtung, dass der gegenwärtige Saatchi&Saatchi CEO Christian Rätsch das Lovemarks-Konzept seines Vorgängers nachdrücklich in den Kontext der Digitalisierung gestellt hat. Digitalisierung, so Rätsch, schaffe eine neue Nähe zu Kund:innen. Dabei betont er vor allem die Dimension Intimität: „Mit ‚Always-On‘ erhalten Lovemarks eine völlig neue Nähe zum Kunden. Quasi ohne Distanz können Unternehmen mit dem Konsumenten interagieren und in deren Leben und persönliches Umfeld vordringen – diese technologische Nähe lässt sich mit ‚Zero Distance‘ beschreiben. Hinzu kommt, dass heute Screens oder auch Audio-Ausgabegeräte physisch immer näher an den Menschen heranrücken.“

Dank Nähe, Daten und Marketing-Automatisierung können Zielgruppen heute zielgenau angesprochen werden. Das allein genügt jedoch nach Rätsch nicht, um einer Marke den Heiligenschein einer Lovemark zu verleihen. Hinzu treten müsse noch die „emotionale Bindung“ als „kommunikativer Mehrwert“. Obgleich der Tradition des Lovemarks-Ansatzes verpflichtet, lassen sich Rätschs Aussagen ohne weiteres auch auf andere Emotionen münzen. Sie sind gültig, ohne dass Marken gleich Schmetterlinge im Bauch entstehen lassen.

Festzuhalten bleibt: Liebe ist ein (zu) großes Wort. Bei unseren Streifzügen durch die Welt der Lovemarks und Love Brands offenbart sich das vielleicht intensivste der Gefühle als hoffnungsfrohe Metapher und kühner Werber-Wunschtraum, aber nicht als realistisches Ziel der Marken-Emotionalisierung.

Von hier kommen die Gefühle!

Der Purpose von Liebchen+Liebchen lautet Emotionalizing Brands. Unsere Agentur beschäftigt sich seit Jahren intensiv mit der emotionalen Inszenierung von Marken. In dieser Zeit haben wir wichtiges Know-how aufgebaut und erfolgreich in die Praxis umgesetzt. Mit unserer Serie stellen wir uns wichtigen Fragen rund um das Thema Marken-Emotionalisierung.

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