Über Aufmerksamkeit beim Schreiben

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Über Aufmerksamkeit beim Schreiben

Man rutscht auf schiefen Begriffen aus, stürzt von einer Sprachebene in eine andere und wird argumentativ aus der Bahn getragen. Holprig geschriebene Werbe- und Kommunikationstexte verlangen dem Leser einiges ab. Ist das einfach nur schlecht gemacht und schlecht gedacht? Diese Antwort ist oft zu einfach.

Man rutscht auf schiefen Begriffen aus, stürzt von einer Sprachebene in eine andere und wird argumentativ aus der Bahn getragen. Holprig geschriebene Werbe- und Kommunikationstexte verlangen dem Leser einiges ab. Ist das einfach nur schlecht gemacht und schlecht gedacht? Diese Antwort ist oft zu einfach.

Hinter schlechten Texten steckt meist etwas anderes als sprachliches Unvermögen. Vielfach hat es dem Verfasser schlicht an Aufmerksamkeit gefehlt. Damit ist hier nicht nur ein Bei-der-Sache-sein gemeint, der situative Konzentrationslevel. Sondern die Fähigkeit, eine Reihe für das Schreiben grundlegender Faktoren zu berücksichtigen. Das ist leichter gesagt als getan, denn im stressgeplagten Tagesgeschäft sind die zahlreichen Aufmerksamkeitspunkte in Texten von Schreibenden schwerer zusammenzuhalten als eine Horde Kinder in einem überfüllten Freibad.

„Allmähliche“ Wissensbildung

Schreiben kann jeder, doch die Erstellung von Werbe- und Kommunikationstexten ist eine komplexe Angelegenheit. Auf einen in diesem Zusammenhang wichtigen Umstand hat Heinrich von Kleist in seinem Aufsatz Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden (1805) für die gesprochene Sprache hingewiesen. „Ich glaube“, schreibt Kleist, „daß mancher großer Redner, in dem Augenblick, da er den Mund aufmachte, noch nicht wußte, was er sagen würde.“ Oder, zugespitzter: Woher soll ich wissen, was ich denke, bevor ich gehört habe, was ich sage?

Wie das Reden, so ist auch das Schreiben eine Methode der allmählichen Wissensbildung und nicht der Wissensabbildung. Meist ist es so, dass man die Ordnung der Gedanken erst wirklich kennt, wenn man sie aufgeschrieben hat. Das gilt für Textproduzenten in Unternehmen und Agenturen noch in einem verstärkten Maß, denn diese schreiben nicht frei zu einem von ihnen selbst gewählten Thema, sondern müssen eine Vielzahl von fremden Informationen und Gedanken verarbeiten.

Das funktioniert nicht ohne Ausprobieren. Nur über einen iterativen Prozess gelangt man zum Ziel. Die kognitiven Akte des Anordnens und Umordnens binden eine Menge Aufmerksamkeit. Und sie sind längst nicht die einzigen Herausforderungen.

Weitere Aufmerksamkeitsfaktoren

Texte müssen faktisch wahr sein. Das macht es erforderlich, sorgfältig zu recherchieren, nichts dazuzuerfinden und genau zu unterscheiden zwischen einem Faktum und seiner Bewertung. Außerdem muss deutlich auf die Kommunikationsabsicht fokussiert werden, ohne Nebenkriegsschauplätze zu eröffnen. Ebenso selbstverständlich für die werbliche Textgestaltung ist eine widerspruchsfreie Argumentation. Sie setzt sprachlogisches Wissen voraus, etwa in der Unterscheidung hinreichender und notwendiger Gründe. Damit kann es sich wie beim Yeti verhalten: Die Abwesenheit eines Beweises ist nicht gleichzusetzen mit dem Beweis der Abwesenheit.

Auf Wort- und Satzebene, aber auch als Gesamttextur muss ein Werbetext stimmig sein: Erhält der Leser alle relevanten Informationen, und erhält er die richtigen Informationen zum richtigen Zeitpunkt? Bei Texten für Marken und Unternehmen, die sich an eine Zielgruppe richten, müssen weitere Kriterien beachet werden: Wurde die Tonalität der Marke getroffen? Sind die im Rahmen einer Corporate Language fixierten Leitlinien und Regeln berücksichtigt? Bietet der Text eine Antwort auf die Erwartungen der Zielgruppe und geht er auf deren Insights ein? Ist er interessant geschrieben, aktiviert er den Leser und weckt er Leselust?

Die Liste ließe sich beliebig verlängern, bis hin zum Check des sprachlichen Variantenreichtums – in schlechten Texten finden sich häufig Redundanzen – sowie zur Prüfung von Grammatik, Interpunktion und Orthografie. Hochqualitative Texte zu erstellen, ist also alles andere als einfach, und der Kristallisationspunkt aller texterischen Arbeit ist: die Aufmerksamkeit.

Alles fließt – irgendwann

Häufig sind Schreibanfänger so sehr mit einer Aufmerksamkeitsdimension beschäftigt, dass ihnen darüber alle anderen Dimensionen aus dem Blick geraten. Sie bemühen sich, das Thema richtig darzustellen, vergessen aber, es in die Zielgruppenperspektive zu rücken. Sie versuchen, den Text ästhtisch zu formen, lassen sich aber dadurch zu Aussagen drängen, die nicht dem Kommunikationsziel entsprechen oder ihm sogar zuwiderlaufen.

Die gute Nachricht: Aufmerksamkeitsmanagement beim Schreiben lässt sich erlernen. Etwa, indem man die verschiedenen Dimensionen systematisch abarbeitet. Dazu muss man die eigenen Texte immer wieder lesen: „mit fremden Augen“, indem man das eigene Vorwissen mental ausklammert.

Eines guten Tages weicht die anfängliche Anstrengung. Der Geübte wechselt vom Stand- auf das Spielbein, und das Schreiben geht ihm leichter von der Hand.

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