30 Jahre Liebchen+Liebchen.1. Juli 1992. Eine Agenturgeschichte.

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30 Jahre Liebchen+Liebchen.1. Juli 1992. Eine Agenturgeschichte.

1. Juli 1992. Mit einem leicht mulmigen Gefühl verbringe ich den ersten Tag in meinem Büro. Mein damaliger Geschäftspartner Werner Liebchen und ich haben eine Agentur gegründet. Das ist eine ziemlich absurde Idee zu dieser Zeit.

1. Juli 1992. Mit einem leicht mulmigen Gefühl verbringe ich den ersten Tag in meinem Büro. Mein damaliger Geschäftspartner Werner Liebchen und ich haben eine Agentur gegründet. Das ist eine ziemlich absurde Idee zu dieser Zeit. Wir sind jung, sehr jung und Gründer:innen sind Anfang der 90er nicht jung, man traut ihnen dann nicht viel zu.

In der Welt passiert Schlimmes: Serbien fällt in Bosnien ein, in Deutschland ist rechtsradikaler Terror auf dem Vormarsch, die Stasi-Akten werden geöffnet und in Somalia verhungern die Menschen.

Es herrscht eine weltweite mehr oder weniger ausgeprägte Rezession, VW und Mercedes melden Kurzarbeit an, alle Stahlhütten machen große Verluste, die Währungen fallen, allen voran das britische Pfund. Der 16. September wird zum „Schwarzen Mittwoch“. Und ein Ei kostet 25 Pfennig.

Ich sitze also in meinem Zwei-Zimmer-Büro im Frankfurter rauhen Osthafen, den ich zwar damals wie heute sehr liebe, aber der 1992 das Gegenteil von „Hip“ ist.

Also: sehr jung, Rezession, schlechter Standort. Was noch?

Ich bin eine Frau.

1992 gibt es verdammt wenige Frauen in Frankfurt, die Agenturen gründen, ich kann mich im Grunde an keine andere Frau erinnern. Dass mein Geschlecht eine Rolle spielt, wird mir in den nächsten Jahren mehr als einmal vor Augen geführt. Ob das der servile Kopiergeräteverkäufer ist, der mich den Leasingvertrag nicht unterschreiben lassen will, sondern lieber eine Stunde auf meinem Geschäftspartner wartet. Oder das logischerweise vollständig männliche Auditorium, dass mich mit meiner Pitchpräsentation nicht beginnen lässt: „Wir wollen lieber noch warten, bis Ihr Chef kommt, Frau Liebchen.“ (Kommt nicht, Chef bin ich). „Oh, äh, ja dann, starten Sie mal.“ Überflüssig zu sagen, dass ich die Präsentation verliere, vielleicht ist sie schlecht, vielleicht aber auch nicht. Zu diesem Thema verfüge ich über eine unendliche Menge an Geschichten.

Während der Meetings rauchen wir wie die Versuchshunde, sogar während Präsentationen und am Arbeitsplatz sowieso. Alkohol ist ein treuer Begleiter, man bietet Gästen Kaffee und Drinks an.

Überstunden sind für alle normal, oft genug sehen wir die Sonne am nächsten Morgen aufgehen. Work-Life-Balance ist in Agenturen unbekannt.

Was noch?

Ach ja: die Digitalisierung.

1992 verstehen wir ziemlich was anderes darunter als heute. Kommerzielles Internet gibt es aber immerhin schon seit zwei Jahren, auch wenn das die meisten Menschen damals nicht wissen. Wir kommunizieren gerne über E-Mail, aber unsere Kunden haben oft keine E-Mail Adressen, daher faxen wir meistens. Das gebrauchte Fax hat 800 DM gekostet und ist im Grunde noch heißer Scheiss. Man kann Adressaten ein vorher spiegelverkehrt kopiertes Dokument senden und ihnen, wenn sie verwundert anrufen, raten, dass sie den Stecker um 180 Grad drehen sollen. Danach faxt man das Dokument nochmal richtig rum. Naja.

Wir gehören in Frankfurt zu den ersten Agenturen, die einen Macintosh haben, also genaugenommen haben wir exakt zwei Stück. Eine Quadra 700 und einen LC II. Wir importieren sie aus USA, da wir uns nicht leisten können, sie in Deutschland zu kaufen. Eine Quadra 700 ohne Festplatte und Speicher kostet 23.000 DM netto. Der dazugehörige Bildschirm knapp 10.000. In USA. In Deutschland ist es noch deutlich teurer. Dazu leisten wir uns eine Festplatte von 120 MB und Arbeitsspeicher von 8 MB. Was dazu führt, dass uns der Zollbeamte am Frankfurter Flughafen der Lüge bezichtigt. Kein Rechner kann so einen riesigen Arbeitsspeicher haben. Auf seinem Formular können wir wählen zwischen 256 und 512 kb.

Im Laufe dieser 30 Jahre darf ich Teil der Entwicklung der Digitalisierung im weitesten Sinne sein. Wir bauen schon 1995 für Sony Music „New Media“, so heißt das damals, eine Internetseite, läuft unter dem Netscape Navigator. Und hat tatsächlich eine kleine Java-Animation integriert, ein tanzendes Hula-Mädchen. Das ist der absolute Burner. 2000 konzipieren und gestalten wir für die SAP die Benutzeroberfläche einer E-Commerce Lösung modular, so dass diese mit geringem Aufwand für verschiedene Endkunden konfiguriert werden kann. Lange bevor Skins und Templates im Web Verbreitung finden. Wir bauen parallel zu Napster eine Musikplattform, die parallel zu Napster und parallel zum Ende des Neuen Marktes ihr unrühmliches Ende findet. Aber wir lernen viel dabei. Und haben Spaß. Bis heute entwickeln wir große crossmediale Projekte und können dabei auf unsere immense Erfahrung zurückgreifen, die wir quasi vom Beginn des kommerziellen Internets an gesammelt haben.

Drei Jahrzehnte, in denen viel passiert, die Anforderungen nicht nur an Agenturen, werden immer komplexer, man muss immer schneller aufnehmen, transformieren, liefern. Das geht mit ganz viel Energie, Neugier, Resilienz und Menschenliebe.

Menschenliebe braucht man auch für das Zusammenarbeiten mit vielen Hunderten von Kolleginnen und Kollegen in dieser Zeit. Ich bin in der fantastischen Situation, mit Menschen seit teilweise über 25 Jahren zusammenarbeiten zu dürfen. Da teilt man Freude und Leid und sammelt gemeinsame Erfahrungen. Das funktioniert nur mit viel Respekt voreinander und anständigem Verhalten. Die vielen neuen jungen Leute, die ich täglich in meiner Agentur treffen darf, bringen mich und die Agentur zu einer fortwährenden Auseinandersetzung und Entwicklung. Das ist zwar manchmal unbequem, aber Bewegung ist ja schließlich eins der sechs Kennzeichen menschlichen Lebens.

Danke!

Ich bin in der unglaublich glücklichen Lage, in all dieser Zeit mit wirklich tollen Kundinnen und Kunden zu arbeiten, nur positive Erfahrungen zu machen. Wir dürfen für tolle Unternehmen arbeiten, mit einigen tatsächlich schon fast über die ganzen 30 Jahre. Unternehmen aus den Bereichen Chemie, Aviation, Finance, IT, etc. die relevante Beiträge zur Verbesserung unseres Alltags leisten, die Innovationen entwickeln, die die Menschheit weiterbringen.

Ich möchte denjenigen danken, die mich begleitet haben, unterstützt haben und dazu beigetragen haben, dass wir das alles erreichen konnten.

Das Liebchen+Liebchen Jubiläums-Video

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