08.08.2017
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NEBENBEI

DIE GELASSENHEIT DES FINANCIERS

Zusammen mit anderen Gästen lifte ich mich in die 21. Etage der ODDO BHF-Bank. In der Sky Lounge haben „Die Familienunternehmer e.V.“ zu einem Vortrag des Vorstandsvorsitzenden Philippe Oddo geladen. Doch anstatt den Chefökonomen zu geben, durchbricht der Gast das Erwartungsschema seiner Zuhörer – und hält der deutschen Ordnungsliebe und Prinzipientreue höchst charmant den Spiegel vor.

 

Bevor der Vortrag beginnt, unterhalte ich mich mit einer Dame aus der Immobilienbranche. Solange, bis sich ein Mann dazugesellt: französischer Akzent, gebräunter Teint, graumeliertes, volles Haar über hellwachen Augen. Eine unprätentiöse Erscheinung. Im lockeren Plauderton erzählt er vom Studium seiner Kinder, streift die rückläufige Bevölkerungsentwicklung in Europa und die Konsequenzen für das Wachstum und zeigt sich beglückt vom Wahlsieg von Macron. Eine seiner Lieblingswendungen lautet „am Ende des Tages“. Nichts deutet zunächst darauf hin, dass es sich um Oddo selbst handelt, den Pariser Financier, der zu den 200 reichsten Menschen Frankreichs gehört.

Die Perfektion des Unperfekten

Erst jüngst hat Oddo die traditionsreiche BHF-Bank übernommen, vorausgegangen war die Übernahme der deutschen Bankhäuser Seydler und Meriten. Aus seinem eigenen Unternehmen, der Banque Oddo & Cie. und der BHF hat er die ODDO BHF geformt. Seitdem pendelt er als „Dimido“ – seine Wortschöpfung für die eigene, immer von Dienstag bis Donnerstag reichende Anwesenheit in Frankfurt – zwischen der hessischen Metropole und Paris. Die beiden Institute sollen zu einer deutsch-französischen Privatbank für vermögende Familien und Mittelständler verschmelzen.

Bevor Oddo vor das Mikrophon tritt, lässt er einen Imagefilm über seine französische Bank abspielen. Seinen Vortrag beginnt er mit der nonchalanten Ankündigung, dass er keinen Vortrag vorbereitet habe. Aber er könne ja „etwas erzählen“ über die Geschichte und den Unterschied zwischen Deutschen und Franzosen. Schon das kann deutsche Zuhörer einigermaßen irritieren. Denn wenn in einem solchen Rahmen zu einem Vortrag eingeladen wird, erwartet man hierzulande eine perfekte Rede, in der jedes Wort rund geschliffen ist wie ein Bachkiesel – und keine aus der Hüfte geschossene Improvisation. Doch genau diese gelingt Odo geradezu perfekt. Er spricht gelassen und dennoch voller Dynamik. Er nutzt den Raum und federt agil zwischen Mikrophon und rückwärtiger Wand hin und her. Und schenkt den Zuschauern immer wieder sein charmantestes Lächeln.

Deutsche und Franzosen im Kulturvergleich

Ein Unterschied zwischen Deutschen und Franzosen, sagt Odo, bestehe zum Beispiel in der Pünktlichkeit: Während Deutsche bei einem Termin immer ein wenig zu früh erscheinen würden, seien Franzosen immer ein wenig zu spät. Einen Ausgleich würde man aber finden, wenn sich jede der Seiten etwas in die jeweils andere Richtung bewege. Oder das Verständnis vom einem „Konzept“: In Deutschland sei ein Konzept etwas Detailliertes, von langer Hand Vorbereitetes. In Frankreich dagegen verstehe man unter Konzept eine Idee, die im Zweifelsfall in nur einem einzigen Satz formuliert sein kann. Doch selbst diesen Unterschieden steht Oddo gelassen gegenüber: Die zwischen seiner Frau und ihm seien größer als die zwischen den Nationalitäten – und man habe immerhin vier Kinder miteinander. Es gibt mit anderen Worten nichts, was nicht durch einigende Kräfte miteinander versöhnt werden kann. Das gilt auch transnational: Die Deutschen kennen Frankreich sehr gut, jedes Jahr besuchen 13 Millionen Deutsche das Land, weiß Oddo. Auf der anderen Seite überquerten kaum drei Millionen Franzosen pro Jahr den Rhein. Aktuell wünschten sich die Deutschen, dass sich ihr politischer und wirtschaftlicher Partner Frankreich wieder fängt – jetzt liege es an den Franzosen, den ersten Schritt zu tun.

Mit dieser gelassenen Weltgewandtheit tun wir uns Deutsche zugegebenermaßen schwer. Nicht umsonst bescheinigt der Philosoph Karl-Heinz Bohrer in seinen legendären FAZ-Essays seinen Landsleuten eine zutiefst „provinzielle“ Gesinnung, die als internalisierte Duldsamkeit oder als Mangel an Stil und Phantasie in Erscheinung trete. Es mangele uns, findet Bohrer, an Weltkontingenz, Spontaneität und Offenheit zugunsten einer „vorab tiefernst geregelte(n) Sinngebung“. Während sich der ertappte französische Liebhaber mit gezücktem Degen in den Kampf werfe, flüchte der Deutsche durch die Tapetentür – ein erhellendes Beispiel.

Glück – keine ökonomische Kategorie

Zum Ende hin haben die Zuhörer von Oddos Vortrag Gelegenheit, Fragen zu stellen. Was er denn von dem im Business grassierenden „Englisch-Wahn“ halte, wird er gefragt. Die Antwort kommt prompt: Es sei immer wichtig, dass sich alle Gesprächsteilnehmer Zuhause fühlten. Wenn er, Oddo, auf einer deutschen Veranstaltung Englisch spreche, verliere er vielleicht 40 Prozent der Zuhörer, in Frankreich noch viel mehr. Und Oddo will verstanden werden. Mit der Arroganz des ehemaligen französischen Präsidenten Mitterand kann er nichts anfangen. Dafür aber mit Macron, der zwar zur Elite gehören würde, sich aber trotzdem nicht über andere erhebe. Was er denn anders machen wolle als andere Banken, will ein anderer Zuhörer wissen. Oddos Antwort ist für einen Ökonomen seines Kalibers erstaunlich lebensnah: Jeder Kunde müsse sich so fühlen, als wäre er der einzige. Man wolle eine gemeinsame Historie miteinander entwickeln, eine Geschichte. Es gehe ihm nicht um Expansion seiner Bank, um mehr Mitarbeiter und höhere Einlagen. Sondern darum, dass der Kunde und er, Oddo, „glücklich“ seien. Schließlich habe er auch sein eigenes Geld in die Bank gesteckt und würde so automatisch in den Schuhen des Kunden stehen.

Das ist vielleicht alles nichts Neues, trotzdem wiegen Oddos persönliche Überzeugungskraft und die von ihm gewählten Worte stärker als jede wirtschaftliche Rechnung. Jeder der Anwesenden im Raum spürt: Am Ende des Tages ist alles gut.

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