Gendern nach Phettberg

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Gendern nach Phettberg

Sie sind unsicher, ob Sie Ihre E-Mails an „Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter“, „Mitarbeiter/-innen“, oder „Mitarbeiter(innen)“ adressieren sollen? Sie liebäugeln mit Gendersternchen oder Binnen-I? Wenn es nach dem österreichischen Germanisten Thomas Kronschläger ginge, können Sie bald „Mitarbeitys“ schreiben.

Sie sind unsicher, ob Sie Ihre E-Mails an „Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter“, „Mitarbeiter/-innen“ oder „Mitarbeiter(innen)“ adressieren sollen? Sie liebäugeln mit Gendersternchen oder Binnen-I? Wenn es nach dem österreichischen Germanisten Thomas Kronschläger ginge, können Sie bald „Mitarbeitys“ schreiben.

 

Aufmerksam geworden ist Kronschläger auf die Y-Form in der Kolumne des Wiener Stadtmagazins Falter sowie in den Befindlichkeitsprotokollen des Ex-Talkmasters, Schauspielers und Schriftstellers Hermes Phettberg, die dieser wöchentlich an seine Freunde und Fans verschickt.

Der von drei Schlaganfällen in die Knie gezwungene Phettberg, dessen „Nette Leit Show“ – stets eingeleitet von der Frage „Frucade oder Eierlikör?“ – in den 90er Jahren im österreichischen und deutschen Fernsehen Kultstatus genoss, schreibt hier über Politik, Kultur und seinen beschwerlichen, von „Nothelfys“ (Heimhilfen) unterstützen Alltag. Von „Teilnehmys“ an einer Feier ist da weiter die Rede, von „Demonstrantys“ und „Österreichys“. Und oben im Himmel? Dort thront – Phettberg zufolge – ein geschlechtsneutrales „Gotty“.

Die Schöpfys waren Anarchistys

Angesichts des in den Phettberg-Schriften grassierenden Ypsilons fiel es Kronschläger nach eigenem Bekunden wie Schuppen von den Augen. Per E-Mail fragte er bei dem Wiener Gesamtkunstwerk nach, wer denn der „Schöpfy“ dieser Form sei. Genau erinnern könne er sich zwar nicht, antwortete der frühere Szenegänger Phettberg, aber er hätte die Idee wohl von Wiener „Anarchistys“ aufgeschnappt. Warum ist Kronschlägers Einfall, die Y-Form systematisch für eine Ansprache aller Geschlechter zu nutzen, nun so bemerkenswert?

In aktuellen Genderkonzepten existieren zwei alternative Ansätze zur sprachlichen Gleichstellung der Geschlechter: die Neutralisierung und die Sichtbarmachung („Splitting“). Während die Neutralisierung darauf abzielt, Geschlechtermerkmale vollständig aus der Sprache zu entfernen (z.B. „Studierende“ statt „Studenten“), umfasst die Sichtbarmachung sowohl das männliche als auch das weibliche Geschlecht (z.B. „Richter und Richterinnen“).

Nun kann man gegen die Sichtbarmachtung einwenden, dass es ja mehr Geschlechter gibt als nur zwei. Menschen mit nicht-binärer oder genderqueerer Geschlechtsidentität könnten sich ausgeschlossen fühlen, wenn die einzige sprachliche Alternative die zwischen Maskulinum und Femininum ist. Zudem macht die Doppelform Texte schwerfällig, schlechter lesbar und hat überdies einige Grenz- und Sonderfälle im Gefolge (z.B. Hyperkorrekturen bei „Menschin“, „Flüchtlingin“).

Demgegenüber bringt die Neutralisierung das Manko mit sich, dass man recht umständlich geschlechterneutrale Ersatzwörter bilden muss (z.B. „das Kollegium“ statt „die Kollegen“). Dabei erweist sich insbesondere die X-Form (z.B. „Studierx“, Professx“) als echter Zungenbrecher, selbst wenn sie als /iks/ ausgesprochen wird.

Angesichts dieser Gemengelage bietet ,Gendern nach Phettberg‘ eine ausgezeichnete Möglichkeit, die Unterschiede zwischen den Geschlechtern nicht-binär zu überwinden. Mit der österreichischen Journalistin Ingrid Thurnher gesprochen: „An Stelle der Sichtbarmachung des Weiblichen könnte die Unsichtbarmachung des Männlichen treten, zu Gunsten des Übergeschlechtlichen, allgemein Menschlichen.“

Ein Segen für Leserys und Zuhörys

Mit Phettbergs Ypsilon dürfen sich also alle Menschenwesen angesprochen fühlen. Die Form ist bei kompakter Bauweise leicht auszusprechen und vermittelt phonologisch etwas rührend Herzliches.

Bevor dieser Ansatz ernsthaft diskussionsfähig ist, sind allerdings noch etliche Feinheiten zu klären, wie die Frage nach der Bewahrung des Wortstammes („Gegnerys“ vs. „Gegnys“), den Umgang mit Indefinitpronomina (z.B. „man“), und anderes mehr.

 

Update 12. Juni 2018

Ich danke Thomas Kronschläger herzlich dafür, dass er mir Einsicht in seine Ausarbeitungen gewährt hat. Sein folgender Überblick beweist, dass Phettbergs Y-Form eine volltaugliche Neutralisierung von Geschlechtsmerkmalen („Entgendern“) erlaubt.

Entgendern nach Phettberg im Überblick
Von Thomas Kronschläger

Mit dem Entgendern nach Phettberg ist es möglich, im Deutschen über Personen zu sprechen und zu schreiben, ohne ihnen ein Geschlecht anzukategorisieren. Dabei ist diese Form sicherlich die einfachste mündliche und schriftliche Form.

Genus

Alle Personenbezeichnungen, die nach Phettberg entgendert werden, sind im Genus Neutrum (ne utrum = keines von beidem), daher ist es das Arzty, das Lesy, das Wirty etc.

Bildung grundsätzlich

Singular: Stamm + y
Plural: Stamm +ys

Bildung detailliert

Bei Wörtern, die das -er verwenden, um zu Personenbezeichnungen zu werden (movierte Wörter), ersetzt das -y das -er: Bäcker_in: das Bäcky.

Bei Wörtern, die nicht in -er enden, wird das -y angehängt: Professor_in: Professory.

Im Plural werden Wörter, die für die Pluralbildung umgelautet werden, weiterhin umgelautet: Koch -> Köche : das Kochy -> die Köchys

Arzt -> Ärzte : das Arzty -> die Ärztys

Pronomina

Die Verwendung von Pronomina im Fließtext erfolgt wie bei jedem anderen Neutrum auch:

In seiner Arbeit stellt das Linguisty vor…

Ich empfehle allerdings im schriftlichen Gebrauch das Beistellen eines (n.), um etwaige Unklarheiten auszuräumen und eindeutig kein Geschlecht anzukategorisieren:

In seinem(n.) neuen Buch schlägt Müller vor…

Besonderheiten

Es gibt, soweit bislang ersichtlich, nur einen Sonderfall: Personenbezeichnungen auf -ling

Der Widerling: das Widerly / der Lehrling: das Lehrly

Auch wenn es vielleicht nicht dringend nötig erscheint, diese Wörter zu entgendern, ist es das meines Erachtens vor allem im Singular, wenn gezeigt werden soll, dass das Geschlecht nicht bedeutend ist.

Bezüglich /man/: Phettberg verwendet dieses Wort nicht, ich empfehle ebenfalls, es nicht zu verwenden, da es eindeutig geschlechtliche Assoziationen hervorruft. Für eine detaillierte, auch formale Begründung siehe Pober, M. 2007: Gendersymmetrie. Überlegungen zur geschlechtersymmetrischen Struktur eines Genderwörterbuches im Deutschen. Würzburg: Königshausen & Neumann.

Zielwörter

Entgendert werden ausschließlich Personenbezeichnungen, also Wörter, die verwendet werden, um auf Personen zu verweisen. Ob im Wort auch entgendert werden soll, sei den Sprechys und Schreibys selbst überlassen (Bürgersteig/Bürgysteig, Bürgermeisty/Bürgymeisty). Das ist zugleich auch ein großer Vorteil des Entgenderns nach Phettberg: das -y wird, wenn diese Form breitere Verwendung findet, eindeutig als Personenbezeichnung erkannt: das Drucky ist also eine Person, die den Beruf der Drucker_in ausübt, der Drucker ist dann eindeutig das Gerät.

Dosis

Je nach Geschmack und Meinung des Verwendys kann voll entgendert werden, (also auch bei Personen, deren Geschlecht vermeintlich bekannt ist, das Bloggy Frank Müller) oder nur dann, wenn dem(n.) Verwendy die Person unbekannt ist (Das Fahry im Wagen vor mir fährt seltsam). Im Plural würde ich immer entgendern.

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