Bring deine Mudda nicht ins Grab

Lesezeit ca.
Minuten

Bring deine Mudda nicht ins Grab

Corona hat Offenbach fest im Griff: Fast alle Geschäfte sind geschlossen, Kneipen und Friseure verriegelt, es herrscht Kontaktverbot. Aber nicht alle Mitbürger halten sich an die strengen Regeln, im Gegenteil. Mit einer Kampagne macht die Stadt Offenbach auf die persönlichen Folgen aufmerksam, die eine Missachtung haben kann.

Corona hat Offenbach fest im Griff: Fast alle Geschäfte sind geschlossen, Kneipen und Friseure verriegelt, es herrscht Kontaktverbot. Aber nicht alle Mitbürger halten sich an die strengen Regeln, im Gegenteil. Mit einer Kampagne macht die Stadt Offenbach auf die persönlichen Folgen aufmerksam, die eine Missachtung haben kann.

 

Wie erreicht man ein junges, bildungsfernes Publikum, das sich in Gruppen am Hafen trifft, Corona-Partys feiert und in getunten Autos durch die Gegend fährt – das werden sich die Macher der Kampagne gefragt haben. Ihre Antwort: mit einer Botschaft, von der man annimmt, dass mit ihr der Spaß aufhört.

Auf den in der „Bronx des Rhein-Main-Gebiets“, wie Offenbach auch genannt wird, verteilten Bannern und Plakaten steht „Deine Party“ und „Dein Treffen“. Daneben sieht man Grabsteine mit den Aufschriften „Deine Mudda“ und „Dein Vadda“. Die zwingende Kausalität von Fun und Funeral soll abschrecken. „Corona kann deine Liebsten töten“, heißt es warnend. Die eindringliche Bitte der Stadt Offenbach, um eine weitere Ausbreitung zu verhindern: „Bleibt zuhause. #stayhome“.

Die Kampagne nimmt Bezug auf einen Soziolekt, das „Migrantendeutsch“. „Deine-Mudda“-Sprüche sind als rituelle Beleidigungen und Angriffe auf die Familienehre seit den sechziger Jahren in der afroamerikanischen Jugendkultur dokumentiert. Schwarze Jugendliche in Harlem haben sich schon damals verbale Duelle geliefert, bei denen die Mutter des Gegenübers Zielscheibe von Spott und Häme war.

Durch den Hip-Hop zu uns gekommen, vermischten sich „Deine-Mudda“-Sprüche hierzulande mit deutschen und südländischen Sprüchekulturen. Jugendliche auf dem Schulhof warfen sie sich an den Kopf, um den anderen auf die Palme zu bringen. Je absurder sie waren, desto mehr zwischenmenschlichen Zündstoff boten sie. Auch die im arabischen Sprachraum verbreitete Verunglimpfung der Väter fand eine gewisse Verbreitung. Aber das liegt ein Jahrzehnt zurück.

Unabhängig vom unzeitgemäßen Approach: Ist eine Kommunikation, die Bedrohungspotenziale aufbaut, überhaupt geeignet, eine Verhaltensänderung auszulösen? Eine Werbegattung, der man das zutraut, sind die Plakate, die an Autobahnen für vorsichtiges Fahren werben. Sie führen in ungebremster Drastik und todernster Visualität die möglichen Auswirkungen des Geschwindigkeitsrausches auf die eigenen Angehörigen vor Augen.

Dagegen wirkt die Offenbacher Kampagne wie eine bunte Persiflage auf eine vergangene Sprachwirklichkeit – kurios und unfreiwillig komisch. Corona sucht einen Impfstoff gegen deine Mudda.

Zurück

Interesse geweckt?
Fragen, Feedback oder Themenwünsche?
Sprechen Sie uns an!